: Flipper im Strafraum
Die jungen Wilden des VfB Stuttgart verlieren bei den Glasgow Rangers unverdient mit 1:2, präsentieren sich dabei aber zur eigenen Verblüffung als echte Champions-League-Mannschaft
aus Glasgow RAPHAEL HONIGSTEIN
Ein paar Sekunden nachdem Kevin Kuranyis Abstauber zum 0:1 das vor archaischem Lärm berstende Ibrox urplötzlich in ein ganz normales Stadion verwandelt hatte, kam ein Mann mit einer blauen Lostrommel auf den Platz. Die bedröppelten Anhänger der Rangers wurden noch stiller. Auf der Videoleinwand leuchteten die Wörter „Rising Stars“ auf, dann griff der Herr in den sechseckigen Behälter, und für einen Moment war man sicher, dass er gleich die Namen „Kuranyi“, „Hleb“ oder „Hildebrand“ verlesen würde – die „jungen Wilden“ vom VfB Stuttgart schienen an diesem dramatischen Abend wirklich zu Sternen am europäischen Fußball-Firmanent werden zu können.
Begonnen hatten die Schwaben das Champions-League-Spiel bei den Glasgow Rangers hingegen da, wo sie sich nach der völlig unnötigen 1:2-Niederlage letzlich wiederfanden: am Boden. Von den riesigen Schallwellen der Kulisse aus der Bahn geworfen, war der VfB auf dem glitschigen Rasen gleich arg ins Schleudern geraten; die falsche Wahl des Schuhwerks hatte die Sache nicht leichter gemacht. Erst nach zwei famosen Paraden von Hildebrand gegen Mitte der ersten Hälfte hatte Felix Magaths Elf bemerkt, dass sie dem Gegner taktisch und technisch einiges voraushat: Kuranyis Treffer nach Bordons Freistoß an den Pfosten war keineswegs „unverdient“, wie Rangers-Trainer Alex McLeish hinterher befand; in Wahrheit hätte man gegen die ideenlosen Gäste mit konsequenterem Spiel nach vorne in der zweiten Halbzeit noch das eine oder andere Tor schießen müssen. Stuttgart war dem schottischen Meister deutlich überlegen, bewies Qualität und Reife. Zumindest bis 15 Minuten vor dem Ende.
„Wir haben heute wie eine Champions-League-Mannschaft gespielt“, sagte Magath, „bis auf das 1:1. Da waren wir eine Amateurmannschaft.“ Fernando Meira und Heiko Gerber waren im Strafraum über die eigenen Füße und den Ball gestolpert, am ausnahmsweise zögerlichen Hildebrand vorbei fand das Spielgerät den Weg zu Christian Nerlinger, der keine Mühe hatte einzuschießen (75.) Ein absolut tragischer, nicht planbarer Unfall; „Flipper im Strafraum“, kommentierte ihn Zvonimir Soldo. Dann „explodierte das Stadion“ (Ranger-Keeper Stefan Klos), und nach Peter Lovenkrands abgefälschtem Weitschuss vier Minuten später konnten die zutiefst geschockten Stuttgarter nicht mehr antworten.
Hinterher war das Entsetzen groß und die Ursachenforschung schwierig. Ioannis Amanatidis schüttelte nur angewidert den Kopf: „So was darf uns einfach nicht passieren.“ Soldo wurde konkreter, als er das Spiel des VfB als „kontrolliert, aber ohne Chancen“ einschätzte. Sein Trainer fand das Wort „Lehrgeld“ angesichts der Stärke seiner Männer unangemessen, schien ob des Missverhältnisses von Leistung und Resultat aber leicht ratlos. Nerlinger, der Bayer bei den Rangers, wollte mangelnde Erfahrung auf keinen Fall gelten lassen: „Kuranyi und Hinkel standen ja gegen Italien (für Deutschland) auf dem Platz, Bordon und Soldo sind alte Hasen“, sagte er. Der unglückliche Ausgleichstreffer sei eben der „Knackpunkt“ des Spiels gewesen, sagte Kuranyi leise, bevor er sich in Plattitüden flüchtete: „Abhaken, nach vorne schauen.“
Das kann man gerne machen, doch der Gedanke an das letzte Gruppenspiel bei Manchester United im Dezember schärft nur den Blick für die Enttäuschung am Dienstag. Gegen die Rangers, die wohl ärgsten Konkurrenten um Platz zwei, könnten am Ende leicht just die Punkte fehlen, die man gerade so sorglos verspielt hatte. Das ahnte wohl auch Erwin Staudt. Der Präsident kämpfte beim Bankett für Sponsoren und VIPs tapfer gegen die schlechte Stimmung und die lauten Rhythmen aus den Boxen. „Man weiß nie, für was es gut ist“, meinte der ehemalige IBM-Chef. Als ein Tischnachbar „Doch: für nix“ erwiderte, hatte Staudt leider keine passende Antwort parat.
Glasgow Rangers: Klos - Ricksen (33. Ross), Berg, Khizanischwili, Ball - Emerson (66. Capucho), Arteta, Vanoli (46. Lovenkrands), Nerlinger - Arweladze, MolsVfB Stuttgart: Hildebrand - Hinkel, Meira, Bordon, Gerber (80. Szabics) - Hleb, Soldo, Tiffert, Heldt (70. Meissner) - Kuranyi, Cacau (46. Amanatidis)Zuschauer: 41.900; Tore: 0:1 Kuranyi (45./+3), 1:1 Nerlinger (74.), 2:1 Lovenkrands (79.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen